Das Hexeneinmaleins aus Goethes Faust
Am Morgen des Ostersonntags wird Faust von Engelschören vor dem Selbstmord bewahrt, doch noch am gleichen Tag gerät er in den Bann des Teufels.
Mephistopheles führt ihn in die Hexenküche, wo er für Faust einen Verjüngungstrank brauen lassen will.
Die Hexe gibt ihm einen Trank und deklamiert aus einem dicken Buch folgenden beschwörenden Zauberspruch:
Die Hexe (mit großer Emphase fängt an, aus dem Buche zu deklamieren):
Du musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn
und Zwei lass gehn
und Drei mach gleich
– so bist du reich!
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs
– so sagt die Hex –
mach Sieben und Acht:
Dann ist’s vollbracht.
Und Neun ist Eins
und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!
Faust: Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.
Mephistopheles:
Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch!
Ich habe manche Zeit damit verloren;
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narrn befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.
(aus: Faust I, Vers 2540-2566, Johann Wolfgang von Goethe; Link: Faust)
(kmp, Bild: pixabay, 14.08.2016)