Dez 102020
Das Gedächtnis der Welt – Vom Finden und Ordnen der Pflanzen

„Die Globalisierung der Pflanzen hat zu einer Art Uniformisierung der Gartenflora geführt. Es gibt keine Wildpflanzen mehr, nur durch menschliche Selektion künstlich aufgeblähte Blüten, die den ahnungslosen Spaziergänger an der Nase herumführten, ihm weismachten, ihre breiten Blütenblätter verkörperten den Gipfel der Natürlichkeit.“

Dieser und viele andere Sätze treffen den zum Grün geneigten Leser ins Mark. Der promovierte Botaniker Marc Jeanson ist Direktor des größten Herbariums der Welt am Nationalen Museum für Naturgeschichte in Paris und seit Ende 2019 Direktor des Botanischen Gartens von Marrakesch. „Das Gedächtnis der Welt“, das er gemeinsam mit Charlotte Fauve, Ingenieurin für Landschaftsplanung, Journalistin und Autorin von Dokumentarfilmen, zusammengetragen und geschrieben hat, geht den Pflanzen auf den Grund.

Gegenstand der Auseinandersetzung sind dabei Herbarien mit ihren „Belegen“ in Form gepresster Pflanzenteile wie Blätter, Stängel, Blüten, Früchte, … versehen mit handschriftlichen Beschreibungen, die versuchen, das Geheimnis der Pflanze zu entschlüsseln. Diese Herbarien sind Zeugnisse aus der Zeit, in der der Überseehandel die ungeheure Vielfalt der Pflanzenwelt ins alte Europa brachte, wo Gelehrte dann versuchten, die toten Pflanzen in eine Systematik und Ordnung zu bringen. Der Leser lernt, dass sich diese Herbarien nur erschließen lassen, wenn man mit ihnen und ihren Geschichten lebt.

In vielen kurzweiligen Episoden berichten die Autoren von den Forschern und der Faszination, die sie trieb. „Dabei ist ein Botaniker kein Gärtner. Dieses Missverständnis hält sich seit dem 16. Jahrhundert. Der Gärtner begleitet die Entwicklung der Pflanzen, er umhegt sie, erhält sie am Leben. Der Botaniker dagegen schneidet Pflanzen ab, er beobachtet sie im Tod, um sie besser im Leben situieren zu können. Die beiden Disziplinen sind einander so nah wie entgegengesetzt …“.

Was heute für uns selbstverständlich ist, war im 18. Jahrhundert ein handfester Skandal als festgestellt wurde, dass Pflanzen unterschiedliche Geschlechter haben, dass Blüten Geschlechtsorgane seien, damals habe die liebliche Pflanzenwelt in den Augen der Zeitgenossen ihre Unschuld verloren. Linné ordnete die Pflanzen neu, indem er Anzahl und Position von Stempel und Staubblättern zugrunde legte und stellte die bis dahin geltende Ordnung auf den Kopf.

Das Buch ist voller Poesie geschrieben, begnadet übersetzt (Elsbeth Ranke), sparsam, aber sehr feingeistig illustriert (Nils Hoff). Es macht Freude den Expeditionen der großen Gelehrten zu folgen, auch wenn am Schluss die Liste der botanischen Forschungsreisenden lang ist, die ihrer Leidenschaft für die Wissenschaft und während der Ausübung ihres Berufs in fremden Ländern umgekommen sind. Auch diese Liste gehört der guten Ordnung halber mit ins Gedächtnis der Welt.

Marc Jeanson und Charlotte Fauve
Das Gedächtnis der Welt
Aufbau Verlag, 2020
224 Seiten, 13,3 x 20,5 cm, zahlreiche Illustrationen, gebunden
ISBN 978-3-351-03462-7
Preis: € 22,00


(Text + Cover: GPP, 10.12.2020)

Kräuterfee Karin Myria

Hier schreibt Karin Myria - Kräuterfee, Medizinfrau, Mystikerin, Coach, Fachautorin und Speakerin. Vor rund 30 Jahren habe ich meine Begeisterung für Wildkräuter und Heilpflanzen entdeckt. Begonnen habe ich mit der Aromatherapie und der Herstellung von Naturkosmetik, später kam die Wildkräuter- und Heilpflanzenkunde hinzu. Seit 2012 gebe ich Wildkräuter- und Jahreskreis-eWorkshops. ~ Besuche mich gerne auch auf meiner Haupt-Website: www.karin-myria-pickl.com. Ich freue mich!


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